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01201 Die EU-Taxonomie – ein Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten und seine Bedeutung für Unternehmen aus der Realwirtschaft

Dieser Artikel behandelt das Klassifizierungssystem der EU-Taxonomie, das zentral für die Definition nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten steht, und untersucht dessen Bedeutung für Unternehmen der Realwirtschaft. Durch eine systematische Aufarbeitung und Darstellung werden komplexe Inhalte verständlich aufbereitet, um Fachleuten im Umweltmanagement sowie HSE-Managern eine fundierte Übersicht über die notwendigen Schritte zur Erreichung der Taxonomie-Compliance zu bieten.
Dieser Fachartikel dient als essenzieller Leitfaden für die Anforderungen der EU-Taxonomie und erleichtert die Umsetzung relevanter Prozesse in der Praxis.
Zwei Anhänge bieten vertiefende Einblicke in die Anforderungen an taxonomiekonforme Wirtschaftsaktivitäten und in das DNSH-Prinzip zur Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen.
Arbeitshilfen:
von:

1 Was ist die EU-Taxonomie?

Hinter dem im allgemeinen Sprachgebrauch als „EU-Taxonomie” bezeichneten Rechtspaket [1] (s. Abb. 1) verbirgt sich u. a. ein Set von Bewertungskriterien, das es erlauben soll, einzuschätzen, ob eine Wirtschaftstätigkeit wesentliche Beiträge zu Nachhaltigkeit, insbesondere zum Klimaschutz und anderen Umweltzielen leistet.
Lenkung privater Investitionen
Die EU-Taxonomie soll helfen, die ökologische Nachhaltigkeit einer Investition oder Geldanlage einschätzen zu können. Sie stellt eine wichtige Voraussetzung zur Erreichbarkeit der Zielstellungen des Europäischen Green Deals dar, indem private Investitionen in grüne und nachhaltige Projekte gelenkt werden sollen. Darüber hinaus ergeben sich aus der „Taxonomy” bestimmte Berichtspflichten für Unternehmen aus dem Finanzbereich, an die sie sich insbesondere richtet. Künftig müssen Finanzmarktteilnehmer bei grünen Finanzprodukten über die jeweiligen Portfolioanteile Auskunft geben, die einen Beitrag zu ökologischer Nachhaltigkeit leisten (könnten).
Bezug zur CSRD
Daraus wiederum ergibt sich auch eine besondere Bedeutung für Unternehmen der Realwirtschaft, die ggf. bestimmte Daten und KPI (Leistungskennzahlen) für ihre Geldgeber bereithalten müssen. Zu berichten sind außerdem die Anteile an Umsatzerlösen, Investitionsausgaben (CapEx) und Betriebsausgaben (OpEx). Der neuen europäischen Verordnung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), Verordnung 2021/0104 (COD)) ist auch zu entnehmen, dass sich Unternehmen an der Taxonomie orientieren müssen, wenn über Beiträge und den Umfang von Tätigkeiten mit Nachhaltigkeitsbezug berichtet wird (s. auch Abschn. 6).
Abb. 1: Struktur der EU-Taxonomie-Verordnung

2 Anwendungsbereich

Das Rechtspaket der EU-Taxonomie richtet sich an folgende Adressatenkreise (vgl. (EU 2020/852) Art. 4, 5–7, 8 [2] [3]:
EU-Mitgliedsstaaten, die Maßnahmen zur Festlegung von Anforderungen an Finanzmarktteilnehmer im Kontext der Sustainable-Finance-Regulierung gesetzlich umsetzen müssen
große und kapitalmarktorientierte Unternehmen [4]
generell alle Finanzmarktteilnehmer, die Finanzprodukte bereitstellen, insbesondere, wenn nachhaltige Geldanlagen vermarktet werden
Unternehmen, die unter der Bilanzrichtlinie [5] zur Abgabe von nicht finanziellen Erklärungen verpflichtet sind
Drei erforderliche KPIs
Betroffene Unternehmen müssen neben weiteren quantitativen und qualitativen Angaben zur Ermittlung der Taxonomiekonformität folgende drei KPIs für ihre jeweiligen Wirtschaftsaktivitäten angeben:
Anteil der taxonomiekonformen Umsatzerlöse an den Gesamtumsatzerlösen
Anteil der taxonomiekonformen Betriebsausgaben (OpEx) am Gesamt-OpEx
Anteil der taxonomiekonformen Investitionsausgaben (CapEx) am Gesamt-CapEx.
Wirtschaftssektoren mit hohen ökologischen Auswirkungen
Darüber hinaus ist die EU-Taxonomie für Organisationen relevant, die hohe ökologische Auswirkungen verursachen, z. B. durch hohe THG-Emissionen in Scope 1. Zu diesen Wirtschaftssektoren zählen u. a. der Energiesektor (Elektrizität, Gas, Dampf, Klimaanlagen), der Fertigungssektor, Transport und Lagerhaltung sowie Land-, Forstwirtschaft und Fischerei [6] [2]. Für diese Sektoren ist die EU-Taxonomie deshalb relevant, weil wegen der hohen aktuellen Impacts durch entsprechende finanzielle Förderung und Investments auch viel mehr für Nachhaltigkeit erreicht werden kann.
Mittelbar betroffen sein können Unternehmen, die nachhaltige Produkte herstellen und einen Bedarf an externer Finanzierung haben oder die von ihren Kunden zur Bereitstellung von nachhaltigkeitsbezogenen ESG-Informationen aufgefordert werden, um die eigenen Berichtspflichten zu erfüllen. Auch Unternehmen, die ihre externe Nachhaltigkeitskommunikation an ESG-Kriterien ausrichten, könnten mittelbar betroffen sein. Derartige Unternehmen sollten Daten und Informationen vorhalten, aus denen ein Beitrag zu den technischen Bewertungskriterien ermittelt werden kann (z. B. organisations- und produktbezogene Ökobilanzen/Life Cycle Assessments) oder die sich auf die Offenlegungspflichten beziehen, d. h. Anteil taxonomiefähiger Umsatzerlöse, Investitionsausgaben (CapEx) und Betriebsausgaben (OpEx).

3 Nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der EU-Taxonomie

Klassifizierung nach NACE
Die EU-Taxonomie legt eine Klassifizierung von ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten fest. Unter einer Wirtschaftstätigkeit versteht man die Kombination bestimmter Produktionsfaktoren wie Kapital, Materialien, Waren, Zwischenprodukte, Fertigungstechniken und menschliche Arbeit. Wirtschaftstätigkeiten zeichnen sich durch den Einsatz von Ressourcen, den Herstellungsprozess und die produzierten Erzeugnisse (Waren oder Dienstleistungen) selbst aus. Die Klassifizierung der Wirtschaftstätigkeiten beruht weitgehend auf der europäischen Systematik der Wirtschaftszweige (NACE).
Abb. 2: Anforderungen an ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten nach EU-Taxonomie
Ökologisch nachhaltig
Entsprechend der EU-Taxonomie gilt eine Wirtschaftsaktivität dann als „ökologisch nachhaltig”, wenn sie die folgenden drei Bedingungen erfüllt (s. auch Abb. 2):
1.
Eine Wirtschaftsaktivität leistet einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung einer oder mehrerer Umweltziele (vgl. Art. 10 bis 16 EU-Taxonomie-Verordnung). Die Beiträge können über technische Bewertungskriterien (substantial contribution criteria, SCC) bestimmt werden.
2.
wenn kein anderes oder mehrere andere Umweltziele beeinträchtigt werden („Do no significant harm”-Principle; vgl. Art. 17 EU-Taxonomie-Verordnung)
3.
soziale Mindeststandards beachtet und eingehalten werden (z. B. OECD-Leitsätze, UN-Leitprinzipien für Menschenrechte, ILO-Arbeitsrechtsnormen; vgl. Art. 18 EU-Taxonomie-Verordnung)
Abb. 3: Die sechs Umweltziele der EU
Taxonomiefähige und -konforme Wirtschaftstätigkeiten
Prinzipiell werden taxonomiefähige, taxonomiekonforme sowie ermöglichende Wirtschaftstätigkeiten und Übergangstätigkeiten unterschieden (s. Tab. 2). Als taxonomiefähig gelten alle Wirtschaftstätigkeiten, die in der EU-Taxonomie-Verordnung benannt werden. Als taxonomiekonform – und damit ökologisch nachhaltig – gelten alle taxonomiefähigen Wirtschaftstätigkeiten, die bestimmte Bewertungskriterien (substantial contribution criteria, SCC) erfüllen und damit vermeintlich einen signifikanten Beitrag zu einem Umweltziel leisten (für Beispiele s. u. Beispiele 1–3), dabei aber kein anderes Umweltziel beeinträchtigen und soziale Mindeststandards erfüllen.
Beispiel 1
Beitrag zur Kreislaufwirtschaft (Artikel 13, EU 2020/852))
Ein Beitrag zur Kreislaufwirtschaft („Circular Economy”) kann auf verschiedene Weise erfolgen, z. B. indem die Haltbarkeit, Reparaturfähigkeit, Nachrüstbarkeit oder Wiederverwendbarkeit von Produkten verbessert wird oder indem durch Produktgestaltung („Öko-Design”), durch die Auswahl von Materialien, durch die Absicherung der Demontage- und Recylingfähigkeit deren Wieder- und Weiterverwendung gefördert wird.
Beispiel 2
Beitrag zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung (Artikel 11, EU 2020/852))
Beiträge zum Klimaschutz ergeben sich aus Wirtschaftstätigkeiten, die zur Senkung und Stabilisierung der atmosphärischen THG-Konzentrationen und zur Einhaltung des Pariser Abkommens („well below 2 °C”) beitragen. Beispiele für entsprechende Produkt- und Prozessinnovationen liegen im Ausbau der Erzeugung, Übertragung, Speicherung, Verteilung oder Nutzung von erneuerbaren Energien, Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, Ausbau klimaneutraler Mobilität, Nutzung erneuerbarer und nachhaltiger Materialien, Stärkung von landbasierten CO2-Senken und anderen umweltverträglichen CO2-Abscheidetechnologien (CCS, CCU).
Anpassungslösungen
Anpassungslösungen tragen dazu bei, die standortspezifischen Risiken von nachteiligen Auswirkungen auf Menschen, Ökosysteme und die Wirtschaftstätigkeit oder damit verbundene Vermögenswerte (Beispiele) erheblich zu verringern bzw. deren Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Dazu zählen Maßnahmen im Bereich der grün-blauen Infrastrukturen (z. B. Gründächer und -wände, Restaurierung von Flusskorridoren, durchlässige Pflastersteingitter) und auch naturbasierte Ansätze (z. B. Wiederherstellung von Mangrovenwäldern und Feuchtgebieten, urbane Forstwirtschaft).

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