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03101 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) –Sorgfaltspflichten und Handlungsbedarf für Unternehmen

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wurde im Juni 2021 vom Bundeskabinett beschlossen und ist Anfang 2023 in Kraft getreten.
Dieser Beitrag informiert über die aktuelle Sachlage zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und den Handlungsbedarf, der sich daraus für Unternehmen aller Größen ableitet.
Die Arbeitshilfe enthält zahlreiche Vorlagendokumente, mit denen Sie die Anforderungen des Gesetzes Schritt für Schritt umsetzen können.
Arbeitshilfen:
von:
Anmerkung: Wir behalten die deutsche Gesetzgebung in Bezug auf die CSDDD im Blick und aktualisieren den Artikel, sobald neue Erkenntnisse vorliegen.
Vorab: Hinweis zur Arbeitshilfe
Die diesem Beitrag zum Download angehängte Arbeitshilfe enthält Gesetzesinterpretationen bzgl. der Anforderungen an Unternehmen und Organisationen, einen Vorschlag zur Umsetzung dieser Anforderungen und folgende Beispieldokumente, die Sie individuell anpassen können:[ 03101_a.xlsx]
1.
Lebenswegbetrachtung
2.
Grundsatzerklärung
3.
Erweiterung des Code of Conduct
4.
Verfahren zum Umgang mit eingehenden Beschwerden
5.
Lieferantenbewertung
6.
Risikoanalyse Menschenrechte
7.
Verfahrensanweisung Risikoanalyse Menschenrechte
8.
Einkaufspraktiken
9.
Ergänzung Management-Review
Wir stellen Ihnen die Arbeitshilfe sowohl im Word- wie auch im Excelformat zur Verfügung, damit Sie so damit arbeiten können, wie es Ihren Bedürfnissen am besten entspricht.[ 03101_b.docx]

1 Einleitung

Hersteller von Produkten und Inhaber von Marken tragen in den Augen der Kundinnen und Kunden die Verantwortung für die Einhaltung international anerkannter Menschenrechte in globalen Beschaffungs- und Absatzmärkten sowie den entsprechenden Liefernetzen. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Länder ihren diesbezüglichen Pflichten nicht nachkommen wollen oder können.
Das Vertrauen in global agierende Unternehmen wurde und wird durch bekannt gewordene Missstände und Skandale beschädigt. Der Gesetzgeber kommt auf Basis von Unternehmensbefragungen zum Schluss, dass ein Großteil der deutschen Unternehmen die Anforderungen des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte nicht erfüllt. Deshalb hat sich die Bunderegierung nun auf ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) geeinigt, das in Deutschland ansässige Unternehmen mit einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette nachzukommen.
Sorgfaltspflicht
Durch das Gesetz werden Anforderungen an die Sorgfaltspflicht von Unternehmen gestellt, die Rechte von Betroffenen sollen gestärkt und letztlich auch faire Wettbewerbsbedingungen und Rechtssicherheit gewährleistet werden. Obwohl die rechtlichen Anforderungen und Haftungsrisiken bisher nur Großunternehmen betreffen, ist absehbar, dass im Zuge der zunehmenden Lieferkettentransparenz alle Lieferanten betroffen sein werden. Erfahren Sie in folgendem Beitrag mehr über die aktuelle Sachlage zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und leiten Sie daraus ab, welche Anforderungen und Pflichten auf Sie zukommen.

2 Problemstellung

Lieferantenfragebögen
Bestimmt mussten Sie schon einmal einen Lieferantenfragebogen, in dem es auch um die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit ging, für Ihren Kunden oder Auftraggeber ausfüllen. Vielleicht fiel es Ihnen leicht, diesen SAQ (Supplier Assessment Questionnaire) zu bearbeiten, vielleicht haben Sie sich aber auch gefragt, was denn soziale Nachhaltigkeit genau bedeutet und wie Sie zu einer Einschätzung der Lieferanten gelangen sollen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Minimalforderungen, die sich aus internationalen Vereinbarungen und den Global Compact Guidelines der Vereinten Nationen ergeben, in Deutschland und in Europa als eingehalten gelten, schon, weil diese weitgehend rechtlich reguliert werden (z. B. Art 1. (1) und Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz, im Arbeitssicherheitsgesetz, im Tarifvertragsgesetz (TVG)).
Missstände in anderen Teilen der Welt
Aber wie sieht es in anderen Ländern aus, etwa in Asia-Pacific, Afrika, Mittel- und Südamerika? Immer wieder sind den Medien Berichte über tragische Vorfälle und unwürdige Arbeitsbedingungen zu entnehmen, insbesondere in den Sektoren Textil, Nahrungsmittel und Bergbau (s. Tab. 1). Vor allem globalisierungskritische Akteure weisen regelmäßig auf die Missstände hin. [1]
Tabelle 1: Fallbeispiele (Darstellung nach [2])
Vorfall
Beschreibung
Textilfabrik Ali Enterprises (Pakistan, 2012) mit der Fa. KiK als damaligem Großkunden
Großbrand mit 258 Toten und 32 Verletzten
Sicherheits- und Brandschutzmängel (vergitterte Fenster, defekte Feuerlöscher), bauliche Mängel
Externe Audits bescheinigten hohe Sicherheits- und Sozialstandards.
Betroffene gründeten gemeinsam mit der pakistanischen Gewerkschaft NTUF die Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association.
Zivilklage auf Schadensersatz/Schmerzensgeld wurde aus formalen Gründen am Landgericht Dortmund abgelehnt.
Ölpalm-Plantagen in Guatemala mit Verarbeitung beim Lebensmittelhersteller Vandemoortele Deutschland GmbH, Vertrieb über Edeka
Menschenrechtsverletzungen beim Anbau und der Produktion von Palmöl (Landraub, Entwaldung, Verletzung des Rechts auf Wasser, des Rechts auf Wohnen, des Rechts auf Gesundheit)
Verletzungen des Arbeitsrechts
Platinabbau in der Marikana-Mine in Südafrika (Lieferant von BASF)
Niederschlagung eines Streiks für Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen mit 34 Toten
Mitarbeiter/-innen leben unter schlechten Bedingungen in slumähnlichen Siedlungen (ohne Zugang zu Strom, fließend Wasser und Sanitäranlagen).
Umweltschäden durch Rückstände des Platinabbaus
Auf Druck von NGOs wurden durch die BASF Audits veranlasst und eine Nachhaltigkeitsinitiative angestoßen, weitergehende Maßnahmen unterblieben seinerzeit.
Es gibt wiederkehrende Kampagnen und Boykottaktionen, die große Unternehmen im Endkundengeschäft teils vor größere Herausforderungen gestellt haben und stellen. Ein Beispiel ist die niederländische NGO „Clean Clothes Campaign (CCC)”, die vor einigen Jahren angeprangert hatte, dass die Herstellungsbedingungen von Textilien in Asien nicht den Erwartungen entsprechen und zentrale Menschen- und Arbeitsrechte in den Produktionsstätten einiger Lieferanten missachtet werden.
Beispiel Clean Clothes Campaign und Tchibo
Die „Clean Clothes Campaign” war mit ihrer Kampagne und ihren Boykottaufrufen auch recht erfolgreich und hatte beispielsweise die Firma Tchibo in den Blick genommen, die deutschlandweit ein umfangreiches Filialnetz unterhält. Bei Tchibo wurde daraufhin die eigene CSR-Abteilung personell und finanziell erheblich aufgestockt. Tchibo setzt sich nun stark dafür ein, die sozialen und ökologischen Bedingungen im Lieferantennetzwerk zu verbessern. Dazu verfolgt das Unternehmen einen ganzheitlichen Ansatz zur Integration seiner Unternehmensverantwortung in die Geschäftstätigkeit. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurde ein Qualifizierungsprogramm „Worldwide Enhancement of Social Quality” entwickelt. Dieses soll als dialogbasiertes Instrument die Risikobewertungen und die Social Audits sowie die daraus abgeleiteten Gegen- und Präventivmaßnahmen ergänzen.
Entwicklung von Aktionsplänen
Es werden Dialoge zwischen Managern, Interessensvertretern und Beschäftigten durchgeführt, um gemeinsame Lösungen für bessere Arbeitsbedingungen zu erarbeiten. Daraus resultieren Aktionspläne, die sich auf die Verhinderung moderner Formen der Sklaverei, auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, existenzsichernde Löhne, die Einhaltung gesetzlicher Arbeitszeiten, Gewerkschafts- und Tarifverhandlungsfreiheit sowie den Schutz vor Diskriminierung und sexuellen Übergriffen beziehen. Die Berücksichtigung von Umweltaspekten und Schulungen zu ökologischen Standards erfolgt im Rahmen des Detox Commitments mit entsprechenden Programmen und Projekten. Die Trennung von sozialen und ökologischen Themen erlaubt eine höhere Wirksamkeit von Maßnahmen, weil unterschiedliche Implementierungsansätze benötigt werden.
Beispiel Volkswagen
Derartige Kampagnen sind keine Einzelfälle und sie werden in den sozialen Medien auch befeuert. Erst vor Kurzem wurde in einer Sendung im reichweitenstarken ZDF die Konzerngeschichte von Volkwagen behandelt und auf die Problematik der Unterdrückung der uigurischen Minderheit in China auch im Zusammenhang mit den Arbeitslagern in örtlicher Nähe zum VW-Standort in Xingjiang hingewiesen.
Auch auf politischer Ebene wird das Thema der sozialen Nachhaltigkeit und der Menschenrechte schon lange behandelt. So hatte die deutsche Bundesregierung im Jahr 2016 im „Nationaler Aktionsplan – Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2016–2020)” (NAP) ihre Erwartungen an deutsche Unternehmen formuliert. Vom Auswärtigen Amt und einem interministeriellen Ausschuss (IMA) wurde 2018 ein Monitoringprozess in Gang gesetzt und von Stakeholdern aus Wirtschaft und Gesellschaft begleitet. Ziel war es festzustellen, ob das im NAP festgelegte Ziel, dass mindestens 50 % von in Deutschland ansässigen Großunternehmen (> 500 MA) menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen, auch erreicht wurde.
Freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreichend
Bereits 2016 war im NAP und in den Koalitionsverträgen vorgesehen, dass ein Gesetz erarbeitet werden soll, wenn die Anforderungen über freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen nicht erreicht werden. Basierend auf einer zweistufigen Unternehmensbefragung, die durch das Beratungsunternehmen EY und deren Konsortialpartnern durchgeführt wurde, musste ein erhebliches Umsetzungsdefizit festgestellt werden. [3] Lediglich 13 bis 17 Prozent der befragten Unternehmen erfüllen nach eigenen Angaben die Anforderungen.
Also bestand Handlungsbedarf, dem die Bundesregierung mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (die korrekte Bezeichnung lautet: Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten) nachgekommen ist. Das Gesetz und die daraus resultierenden Anforderungen für Unternehmen werden in den folgenden beiden Abschnitten vorgestellt.

3 Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – Inhalte und Adressaten

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wurde vom Bundeskabinett beschlossen und ist Anfang 2023 in Kraft getreten. Ein europäisches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist gerade in Diskussion, das heißt, es gibt einen Legislativvorschlag zur Rechenschafts- und Sorgfaltspflicht im europäischen Parlament. Die Europäische Kommission ist angehalten, einen Richtlinienvorschlag zu erarbeiten. Folgend werden die Zielstellung und der Anwendungsbereich des Gesetzes wiedergegeben (s. auch Abb. 1).
Abb. 1: Übersicht über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

3.1 Was sind die Zielstellungen des Gesetzes?

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verfolgt eine Reihe konkreter Ziele:
1.
Achtung von international anerkannten Menschenrechten, z. T. auch Stärkung des Umweltschutzes in Lieferketten. Durch das Gesetz werden Unternehmen Sorgfaltspflichten auferlegt, damit – als Minimalanforderung – mindestens die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die ILO-Kernnormen sowie Pflichten aus internationalen Abkommen zum Schutz vor Gesundheits- und Umweltgefahren, soweit die Umweltrisiken zu Menschenrechtsverletzungen führen können, berücksichtigt werden (z. B. Minamata-Abkommen bzw. Quecksilber-Konvention, Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe bzw. POP-Übereinkommen, Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung).
2.
Keine Abwälzung der Verantwortung auf Konsumentinnen und Konsumenten: Die Politik übernimmt die ihr zustehende Aufgabe der Rahmensetzung, indem bestimmte Anforderungen gesetzlich gefordert werden. Damit werden Kunden, die mit ihren Kaufentscheidungen letztlich einen wichtigen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten können, von einer sie überfordernden Informations- und Kontrollnotwendigkeit entbunden.
3.
Stärkung der Rechte von Betroffenen durch die sogenannte Prozessstandschaft und ein Vertretungsrecht. Das heißt, NGOs und Gewerkschaften können im Namen einer betroffenen Person Klagen einreichen bzw. in Gerichtsverhandlungen für sie eintreten. Diese NGOs müssen aber im Heimatland des Betroffenen angesiedelt sein.
4.
Behördliche Kontrolle der Einhaltung der Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes durch Bundesbehörden (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle BaFa)
5.
Sanktionierung: erfolgt über eine Prüfung der jährlich zu erstellenden Berichte. Die Behörde kann Nachbesserungen verlangen und verfügt über ein Betretungsrecht. Bei Zuwiderhandlungen sind Zwangsgelder bis zu 50.000 EUR und Bußgelder bis zu 2 % des Jahresumsatzes möglich. Bei rechtskräftig festgestellten und bußgeldbewährten Verstößen ist ein Ausschluss von öffentlichen Vergaben von bis zu drei Jahren möglich.
6.
Level Playing Field: Mit der gesetzlichen Regelung soll auch den legitimen Interessen von Unternehmen hinsichtlich gerechter und gleicher Anforderungen für Wettbewerber auf deutscher und später auch europäischer und globaler Ebene entsprochen werden. Einige Vorreiterunternehmen haben gefordert, dass sich aus der Nichtbeachtung von Menschenrechten künftig keine (indirekten) Wettbewerbsvorteile mehr ergeben dürfen.
UN-Leitprinzipien und ILO-Kernnormen
Im Anwendungsbereich des Gesetzes sind explizit die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die ILO-Kernnormen enthalten (ILO: Internationale Arbeitsorganisation). Das Gesetz spezifiziert die folgenden Aspekte nochmals [4]:
die Unversehrtheit von Leben und Gesundheit,
die Freiheit von Sklaverei und Zwangsarbeit und das Verbot von Kinderarbeit,
die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und das Recht auf Kollektiv-Verhandlungen,
den Schutz vor Folter,
das Verbot der Missachtung des Arbeitsschutzes,
das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns,
das Verbot der Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Beschäftigten,
das Verbot des widerrechtlichen Entzugs von Land, Wäldern und Gewässern beim Erwerb der Bebauung oder anderweitiger Nutzung der widerrechtlichen Zwangsräumung und
das Verbot, schädliche Umweltveränderungen herbeizuführen, wenn diese die Grundlage für die Produktion von Nahrung, den Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser und die Gesundheit der Menschen beeinflussen.
Regelungen in anderen EU-Ländern
Die Regelungen im deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ergänzen damit andere Vorschriften und Sorgfaltsstandards (z. B. die EU-Holz-Verordnung zur Vermeidung von illegalem Holzeinschlag sowie die OECD-Leitsätze zur Vermeidung von Konfliktmaterialien). In einigen anderen Ländern sind vergleichbare Regelungen bereits seit Längerem in Kraft, z. B. der Modern Slavery Act (UK), das Sorgfaltspflichtengesetz „Loi de vigellance” (Frankreich) sowie das Gesetz gegen Kinderarbeit (Niederlande).

3.2 Welche Unternehmen sind betroffen?

Betroffen sind alle Organisationen, alle Unternehmen, deren Hauptverwaltung bzw. deren Hauptniederlassung oder deren satzungsgemäßer Sitz im Inland, also in Deutschland ist.
Seit 2.023 müssen Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden, die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes erfüllen, das sind circa 600 Unternehmen in Deutschland. Seit 2024 sind auch alle Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden betroffen, das entspricht in etwa 2.900 Unternehmen in Deutschland [5]. Obwohl vor allem große Unternehmen betroffen sein werden, ist abzusehen, dass sich auch die Lieferanten mit bestimmten Aspekten auseinandersetzen werden müssen, denn das Gesetz bezieht sich auf eine Lieferkette und damit auf die Prozessschritte im In- und Ausland, die mit der Produktherstellung und der Erbringung von Dienstleistungen verbunden sind.
Abb. 2: Schematische Darstellung einer Upstream Supply Chain
Lieferketten beginnen bei der Rohstoffgewinnung und enden mit der Lieferung an den Endkunden bzw. den Point-of-Sale. Zur Unterscheidung der Akteure wird eine Abstufung vorgenommen, mit der auch eine abgestufte Sorgfaltspflicht einhergeht. [6]
Eigener Geschäftsbereich
Der eigene Geschäftsbereich umfasst alle Projekte und Aktivitäten, die zur Erreichung des Unternehmensziels erforderlich sind und die von einer juristischen Person bzw. Gesellschaft als Rechtsträger durchgeführt werden. Unabhängig vom Standort sind dabei alle Tätigkeiten zur Erstellung und Verwertung von Produkten bzw. Dienstleistungserbringung eingeschlossen. Tochtergesellschaften und Beteiligungen an anderen Gesellschaften sind dabei ebenfalls inkludiert.
Mittel- und unmittelbare Zulieferer
Vertragspartner auf Tier-1-Ebene, also Direktlieferanten, gelten als unmittelbare Zulieferer, die für die Herstellung eines Produkts oder die Erbringung/Inanspruchnahme einer Dienstleistung nötig sind. Die Zulieferungen von n-Tier Suppliers, also den Zulieferern der unmittelbaren Zulieferer, sind ebenfalls notwendig, daher müssen auch in diesem Fall Sorgfaltspflichten erfüllt werden, selbst wenn kein direktes Vertragsverhältnis besteht.
Bei missbräuchlicher Gestaltung von Verträgen und bei intendierten Umgehungsgeschäften („Offshoring”, „Outsourcing” etc.) gilt ein mittelbarer Zulieferer auch als unmittelbarer Zulieferer. Dies kann dann auftreten, wenn zwischen Unternehmen und dem mittelbaren Lieferanten dritte Akteure zwischengeschaltet sind, die aber keiner eigenen Wirtschaftstätigkeit nachgehen oder keine oder nur kurzfristige Präsenz im jeweiligen Land aufweisen (z. B. keine Geschäftsräume, Personal oder Ausrüstungsgegenstände).
Einen Vorschlag und ein Beispiel für die Durchführung einer Lebenszyklusanalyse finden Sie in der angefügten Arbeitshilfe (Tabellenblatt 0 Lebenszyklusbetrachtung).[ 03101_a.xlsx]

4 Handlungsbedarf im Unternehmen

Was müssen Unternehmen nun tun? Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) legt konkrete Anforderungen fest, wie Organisationen die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise beachten können. Diese werden in Abschnitt 4.1 zunächst im Überblick und anschließend in Abschnitt 4.2 ff. im Detail beschrieben.

4.1 Notwendige Schritte zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten

Due Diligence
Die Verpflichtung zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten bezieht sich auf ein Vorgehen, das in vielen Unternehmensbereichen als Due Diligence [7] bekannt ist. Ursprünglich handelte es sich dabei um einen Ansatz im Risikomanagement, der im Vorfeld von Unternehmenstransaktionen durchgeführt wird. Vor einer Kaufentscheidung wird geprüft, ob man dabei nicht Risiken verschiedener Art einkauft. Bei der Tax Due Diligence (TDD) liegt der Fokus beispielsweise auf Steuern und Sozialabgaben, bei der Compliance Due Diligence (CDD) auf Integritätsrisiken, während bei der Environmental Due Diligence (EDD) geprüft wird, ob bei einem Geschäftspartner Altlasten oder anderweitige Umweltrisiken bestehen und ob ausreichende Rückstellungen vorhanden sind. Die Anforderungen, die durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auf Unternehmen zukommen, stellen eine Form des Human Rights Due Diligence [8] dar und werden in Abbildung 3 dargestellt und anschließend näher beschrieben.
Abb. 3: Human Rights Due Diligence – Anforderungen an Unternehmen [9]
Die beigefügte Arbeitshilfe orientiert sich in ihrer Chronologie an den sieben in Abbildung 3 gezeigten Prozessschritten. Für jeden einzelnen dieser Schritte gibt es in der Arbeitshilfe konkrete Vorschläge zur Umsetzung. Die Nummerierung 1–7 findet sich in den Tabellenblättern wieder.[ 03101_a.xlsx]

4.2 Risikoanalyse und Risikomanagement [10]

Um zu verhindern, dass wie so oft nichtssagende und unkonkrete Erklärungen, Leitbilder und prosaische Unternehmenspolitiken entworfen werden, die eine weitergehende Auseinandersetzung rhetorisch abfangen [11], stellt eine explizit auf Menschenrechtsfragen ausgerichtete Risikoanalyse den Ausgangspunkt der Bemühungen dar. Damit soll sichergestellt werden, dass sich Maßnahmen auf tatsächliche Probleme beziehen und relevante Themen der interessierten Parteien berücksichtigen. Im Grundsatz entspricht dies einer Wesentlichkeitsanalyse, wie sie aus der Nachhaltigkeitsberichterstattung (z. B. den GRI-Reportingvorgaben oder dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex) bekannt sind.
Risiken sind mindestens einmal jährlich oder anlassbezogen, d. h. bei Bekanntwerden von Menschenrechtsverletzungen oder wesentlichen Veränderungen im Unternehmen, zu identifizieren und einer Risikoanalyse zu unterziehen. Es besteht hier auch eine gewisse Nachforschungspflicht, ohne dass dies im Gesetz konkretisiert ist.
Beispiele für Anlässe sind: erweiterte Risikolage, konkrete Vorfälle, Änderung der Geschäftsfelder, Markteintritt in neue Regionen, Änderung der Produktpalette oder Produkteinführung, Veränderung der Geschäftsgrundsätze, als Reaktion auf veränderte Markt- und Umfeldbedingungen.
Empfohlene Schritte
Für die Risikoanalyse werden folgende Schritte empfohlen:
ScopingÜberblick über Beschaffungsprozesse, deren Struktur und beteiligten Akteuren sowie über möglicherweise betroffene Personengruppen;
Erhebung von Risikodaten über alle Stufen des LieferantennetzwerksInformationen für in Entwicklungsländern ansässige Lieferanten sind meist schwierig und nur mit größerem Aufwand zu erheben. Als Instrumente bieten sich neben Vor-Ort-Besichtigungen und Lieferantenbefragungen (mit Interviews oder Fragebögen) auch eine kontinuierliche Auswertung von Sanktionslisten (von Staaten oder NGOs), Country Reports/Country Briefings, Expertendatenbanken, Media Screening (Social-Media-Kanäle und Nachrichtenportale) an.
Identifikation von menschenrechtsbezogenen Risiken in Form eines Risikomappings, das sich auf verschiedene Themen beziehen kann bzw. diese clustert, z. B. bezogen auf Themen wie Personalwesen, Gesundheit und Sicherheit, Sicherheitsvorkehrungen, Geschäftsintegrität, Auswirkungen auf die Gemeinschaft, Beschaffung von Rohstoffen, Produktqualität und Marketingpraktiken sowie bezogen auf Geschäftsfelder, Standorte, Produkte oder Herkunftsländer, Kontextfaktoren wie politische Rahmenbedingungen, vulnerable Personengruppen etc.
Analyse und Bewertung der identifizierten Risikenund Abschätzung des Einflussbereichs und der potenziellen Auswirkungen (z. B. auf Basis einer Punktbewertung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kriterien, s. Tab. 2);
Risikoanalyse I: Sichtung aller Risiken, Prioritätenliste
Risikoanalyse II: In-Depth-Betrachtung prioritärer Risiken, ggf. Erhebung weiterer Informationen(Befragung von Mitarbeitenden, direkter Austausch mit Anwohnern und deren Interessensvertretungen, Durchführung von Fallstudien, Vor-Ort-Inspektionen insbesondere bei Fragen des Brandschutzes und der Gebäudesicherheit);
Kommunikation der Risikoanalyse und Aufruf zur Berücksichtigung;
Ableitung von Maßnahmen (z. B. proaktive und präventive Maßnahmen, Abhilfemaßnahmen, aber auch Aktionspläne, die bei Verstößen oder Störfallen schnelle Reaktionsfähigkeit erlauben);
Durchführung von Risikobewältigungsmaßnahmen;
Erfolgskontrolle/Review der Maßnahmen durch verantwortliche Personen und ggf. Stakeholder.
Tabelle 2: Beispiele für Kriterien zur Risikobewertung [12]
Art, Umfang und Ort der Geschäftstätigkeit
Je nachdem ist von höheren Risiken auszugehen
z. B. Fokusbranchen wie Textil, Lebensmittel, Automotive, Bergbau und Metallverarbeitung, Elektronik, Chemie
z. B. Problemregionen wie Asia-Pazifik, Subsahara-Afrika
Eintrittswahrscheinlichkeit
Qualitativ-intuitive Einschätzung oder Basis einer Extrapolation von historisch erfassten Ereignissen
Schadensausmaß
Grad der Schwere
Reichweite und
Umkehrbarkeit
Einflussbereich und Einflussvermögen
Ausmaß der Möglichkeiten zur Steuerung und Beeinflussung der Lieferanten (z. B. Weisungsbefugnis, Vereinbarungen in Kodizes) in Abhängigkeit der Beschaffungsmenge, Marktposition und Unternehmensgröße)
Verursachungsbeitrag
Beitrag zum Vorfall (auch für die Festlegung von Fahrlässigkeit und Vorsätzlichkeit von Bedeutung)
Beispiele für Skalen für diese Bewertungskriterien entnehmen Sie bitte dem entsprechenden Arbeitsblatt der Arbeitshilfe
Es gilt generell, dass nur jene Risiken zu berücksichtigen sind, die vom Unternehmen (mit)verursacht wurden. Das umfasst Risiken, die unmittelbar durch Unternehmensaktivitäten ausgelöst wurden oder zu deren Entstehung oder Verstärkung beigetragen wurde, was durch eine belastbare Kausalkette beschrieben werden und sich im Verursachungsbeitrag widerspiegeln muss.
Risiken priorisieren
Aus der Risikoanalyse lassen sich zu priorisierende Risiken ableiten, für die ggf. weitere Informationen zu erheben sind. Der Bedarf an tiefergehenden Informationen kann sich auf die betroffenen Personen beziehen sowie auf die kulturellen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen vor Ort. Bei den Risikobetrachtungen sind auch die Anliegen der Beschäftigten und betroffenen Personen oder deren Interessensvertretungen in angemessener Weise zu berücksichtigen.
Beispiel für betroffene Personen
Beispiele sind: direkte Beschäftigte, Nachauftragnehmer/Selbstständige und Leiharbeiter, indirekt Beschäftigte bei Lieferanten, auch informell oder illegal Beschäftigte („Schwarzarbeiter”), Anrainer, Anwohner und Nutzer von Nachbargrundstücken, berechtigte und unabhängige Interessensvertretungen, die sich für Belange der Menschenrechte einsetzen, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften.
Barrierefreiheit gewährleisten
Dies kann beispielsweise in Form von regelmäßigem/anlassbezogenem Austausch mit Interessensvertretungen und/oder durch Konsultationen erfolgen. Durch den partizipativen Austausch sollen Transparenz, Verständnis und Akzeptanz bzgl. der unterschiedlichen Interessen und Anliegen geschaffen werden. Bei den Austausch- und Beteiligungsformaten sollte auf einen möglichst barrierefreien Zugang, eventuelle Sprach- und Verständigungsprobleme und die Einbeziehung benachteiligter und vulnerabler Gruppen geachtet werden.
In der beigefügten Arbeitshilfe finden Sie eine Vorlage für eine Risikoanalyse in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten sowie eine dazugehörige Verfahrensanweisung (Tabellenblätter 1a bis 1d).[ 03101_a.xlsx]

4.3 Festlegung von Zuständigkeiten [13]

Für das Human-Rights-Risikomanagement muss eine verantwortliche Person benannt werden. Diese/r Menschenrechtsbeauftragte soll das Risikomanagement, die Risikoanalysen und die Umsetzung der Maßnahmenpläne überwachen, und – wie im Beauftragtenwesen üblich – in engem Kontakt mit der Geschäftsführung stehen.
Stabsstelle
Im Gesetz wird dafür eine direkt der Geschäftsführung unterstellte Stabsstelle empfohlen. Durch diese/n Ansprechpartner/-in soll sichergestellt werden, dass alle relevanten Abteilungen (z. B. Einkauf, Compliance, Sustainability), die Risiken beeinflussen können, einbezogen werden. Notwendige Ressourcen und Hilfsmittel müssen zur Verfügung gestellt werden und es besteht eine (jährliche oder anlassbezogene) Informationspflicht – ähnlich einem Management Review.
In der beigefügten Arbeitshilfe finden Sie eine Vorlage für die Bestellung eines Menschenrechtsbeauftragten (Tabellenblatt 2 Bestellung MR-Beauftragter).[ 03101_a.xlsx]

4.4 Grundsatzerklärung und Menschenrechtsstrategie [14]

Die Leitung des Unternehmens ist angehalten, eine Grundsatzerklärung zu verabschieden, die sich auf die Risikoanalyse bezieht und die Präventions- und Abhilfemaßnahmen beinhaltet. Die Grundsatzerklärung stellt die Basis für eine Menschenrechtsstrategie dar und soll verdeutlichen, dass sich die Unternehmensleitung klar positioniert. Aus der Grundsatzerklärung muss hervorgehen, mit welchen Verfahren den Sorgfaltspflichten nach § 3 nachgekommen wird und wie die Menschenrechtsstrategie in unternehmerische Entscheidungen und Abläufe, insbesondere mit Bezug zu Beschaffungsprozessen integriert wird (Mustervorlage s. Arbeitshilfe, Tabellenblatt 3 Grundsatzerklärung).[ 03101_a.xlsx]
Code of Conduct
Ein nächster Schritt ist, die menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten in Verträge bzw. Lieferantenkodizes (Code of Conduct) aufzunehmen. Eine Musterformulierung finden Sie in der zum Download bereitgestellten Arbeitshilfe (Tabellenblatt 4a Erweiterung COC).
Die Grundsatzerklärung und die darin enthaltene Menschenrechtsstrategie stellt außerdem dar, welche Erwartungen und Anforderungen ein Betrieb an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und an die Lieferanten stellt. Ferner müssen die Präventionsmaßnahmen (§ 6 Abs. 3) erläutert werden, die im eigenen Geschäftsbereich und in relevanten Geschäftsabläufen zu verankern sind. Hierzu zählen als wesentliche Präventionsmaßnahmen die Entwicklung und Anwendung einer Beschaffungs- bzw. Einkaufsrichtlinie sowie entsprechender Schulungsangebote.
Einen Vorschlag für eine ergänzende Formulierung zu den Einkaufspraktiken einer Organisation finden Sie in der beigefügten Arbeitshilfe im Anhang (Tabellenblatt 4b Ergänzung Einkaufspraktiken).
Lieferantenbewertung
Es muss sichergestellt werden, dass bei der Lieferantenbewertung auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt werden. Bei vielen Unternehmen wird dies bereits über Lieferantenfragebögen und Selbstauskünfte gewährleistet.
Einen Vorschlag für eine Lieferantenbewertung unter Einbezug von Menschenrechts- und Umweltbelangen finden Sie in der beigefügten Arbeitshilfe im Anhang (Tabellenblatt 4c Lieferantenbewertung.
Qualifikation und Kontrolle der Lieferanten
Darüber hinaus wird nun im Gesetz eine vertragliche Vereinbarung verlangt, die einen unmittelbaren Lieferanten zur Einhaltung der menschenrechts- und umweltbezogenen Vorgaben verpflichtet und entsprechende Vorgaben entlang der Lieferkette enthält (§ 6, Abs. 4, Nr. 1,2). Nötigenfalls müssen die Lieferanten entsprechend qualifiziert werden. Es sollen Kontrollmaßnahmen bei unmittelbaren Zulieferern vertraglich vereinbart werden, die regelmäßig durchgeführt werden und angemessen sind. Treten Vorfälle auf oder bestehen besondere Risiken mit Bezug zur Einhaltung der Menschenrechte oder anderer politischer Übereinkommen, müssen risikobasierte Überprüfungs- und Kontrollmaßnahmen durchgeführt werden.
Damit dürfte die Bedeutung von Lieferantenaudits oder anerkannter Zertifizierungssysteme insbesondere für mittelbare und strategisch wichtige Zulieferer und Zwischenhändler weiter zunehmen.

4.5 Ableitung von Maßnahmen [15]

Für priorisierte Risiken sind Präventions- und Abhilfemaßnahmen abzuleiten. Unverzügliche Abhilfemaßnahmen müssen geleistet werden, wenn besorgniserregende Umstände bekannt werden oder Ereignisse bereits eingetreten sind oder bevorstehen. Es handelt sich dabei um Umstände oder Ereignisse, bei denen das Risiko besteht, dass geschützte Rechtspositionen oder umweltbezogene Pflichten verletzt werden.
Bemühungspflicht, keine Erfolgspflicht
Es gilt hier das Prinzip der Angemessenheit: Je näher das Unternehmen dran ist, je größer der eigene Beitrag, desto deutlicher müssen die Anstrengungen bei den Abhilfemaßnahmen sein. Allerdings ergibt sich daraus kein rechtsgültiger Anspruch eines Geschädigten auf Abhilfemaßnahmen, denn es gilt Bemühungspflicht und keine Erfolgspflicht.
Korrekturmaßnahmenplan
Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich müssen zu einer zügigen Beendigung der Missstände führen. Außerhalb des direkten Verantwortungsbereichs, also bei unmittelbaren Zulieferern, sind die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. In derartigen Fällen müssen (unverzüglich und) gemeinsam mit dem Lieferanten ein Konzept und ein Zeitplan zur Minimierung erstellt werden, die innerhalb einer zu setzenden Frist umgesetzt werden. Es braucht also einen Korrekturmaßnahmenplan zur Behebung der Missstände, ggf. einen Versuch, mit anderen Unternehmen und durch Brancheninitiativen gemeinsam Druck auf Verursacher auszuüben und damit die Einflussmöglichkeiten zu erweitern.
Definition von Abbruchkriterien
Ebenfalls ist vorgesehen, dass während der Umsetzungsmaßnahmen die Geschäftsbeziehungen zeitlich befristet ausgesetzt werden. Ein Abbruch der Geschäftsbeziehungen stellt eine ultima ratio dar, die nur dann geboten ist, wenn es sich um aussichtslose oder sehr schwerwiegende Vorfälle oder Menschenrechtsverletzungen handelt, für die keine Abhilfe geschaffen werden kann und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Hierfür könnten Abbruchkriterien definiert werden. Die Effektivität der Abhilfemaßnahmen muss einmal jährlich und anlassbezogen überprüft und angepasst werden.
Alle Präventionsmaßnahmen müssen regelmäßig, d. h. mindestens einmal jährlich, oder anlassbezogen kontrolliert werden. Das Gesetz fordert auch eine unverzügliche Aktualisierung der Maßnahmenplanung, insofern Erkenntnisse über die Verletzung der Sorgfaltspflichten auftreten.

4.6 Maßnahmenpläne

Unabhängig von den Ad-hoc-Maßnahmen zum Abstellen erkannter Missstände müssen Maßnahmenpläne erstellt werden, um weitere potenziell negative Auswirkungen auf die Menschenrechte abzuwenden. Die Maßnahmenpläne sollten kooperativer Natur sein, d. h. gemeinsam mit Lieferanten entwickelt werden und in einen Korrekturmaßnahmenplan münden.
Lieferantenaudits und Zertifizierungen
Die Lieferanten sollen bei der Risikoprävention unterstützt werden, indem beispielsweise Trainings angeboten und Fortbildungen bei den Lieferanten durchgeführt werden. Von den Lieferanten können Nachweisdokumente eingefordert werden, die glaubhaft machen, dass die vereinbarten Maßnahmen auch umgesetzt werden. Eine weitere Möglichkeit sind die in Qualitäts- oder Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagementsystemen etablierten Lieferantenaudits, die in eigener Verantwortung oder durch Dienstleister durchgeführt werden. Ebenfalls aus anderen Managementsystemen bekannt ist das Einfordern bestimmter Zertifizierungen. Wenn etwa ein extern zertifiziertes Compliance-Management (ISO 37301) beim Lieferanten nachgewiesen werden kann, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen bzgl. der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllt werden.

4.7 Beschwerdemanagement [16]

Paragraf 8 des Gesetzes fordert die Einrichtung eines Beschwerdemanagementsystems. Dieses System sollte möglichst einfach zugänglich sein – und zwar für Beschäftigte und Betroffene sowie für Dritte, die Kenntnis über bestimmte Missstände haben. Hier bieten sich barrierefreie Internetseiten, Beschwerdeformulare oder E-Mail-Adressen an, wobei Vertraulichkeit und Datenschutz gewährleistet werden müssen.
Barrierefreiheit
Zu den Barrieren, die einen Zugang erschweren können und die darum beachtet werden müssen, zählen mangelnde Kenntnis des Mechanismus, Sprache, Lese- und Schreibvermögen, Kosten, Standort und Furcht vor Repressalien.
Die Mitarbeitenden im Beschwerdemanagement müssen unparteiisch und unabhängig sein (also nicht weisungsgebunden) und werden zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das Beschwerdemanagementsystem kann intern oder auch in Auftrag von oder gemeinsam mit Branchenverbänden eingerichtet werden. Eine schriftliche Ordnung beschreibt das Verfahren, dessen einzelne Schritte und die Art und Weise, wie mit Informanten und mit den Informationen umgegangen wird.
Handlungsnotwendigkeit
Jedenfalls ist der Eingang eines Hinweises oder einer Beschwerde zu bestätigen und zu dokumentieren, wenn das Unternehmen dadurch Kenntnis über Missstände erlangt hat. Aus dieser Dokumentationsverpflichtung ergibt sich eine Handlungsnotwendigkeit. Es muss eine Erörterung mit den Hinweisgebern anberaumt werden, die ggf. dazu führt, dass eine einvernehmliche Beilegung erreicht werden kann. Hinweisgeber dürfen nicht öffentlich benannt werden und sollten auch ansonsten keine Benachteiligungen befürchten müssen. Die Wirksamkeit des Beschwerdeverfahrens muss einmal jährlich oder anlassbezogen geprüft werden.
Einen Vorschlag zum Umgang mit eingehenden Beschwerden finden Sie in der beigefügten Arbeitshilfe (Tabellenblatt 5a Verfahren bei Beschwerden).[ 03101_a.xlsx]
Stakeholderanalyse
Da Gewerkschaften und NGOs (Non-governmental organizations/Nichtregierungsorganisationen) zur gerichtlichen Geltendmachung der Rechte herangezogen werden können, empfiehlt es sich, regelmäßig eine menschenrechtsbezogene Stakeholderanalyse durchzuführen, um Risiken oder auch Chancen im Umgang mit den Stakeholdern zu ermitteln. Nicht berücksichtigte Stakeholderinteressen können gravierende Auswirkungen auf die Organisation haben, denn Gewerkschaften und NGOs können gegen Firmen in der Lieferkette klagen, wenn Arbeitnehmerrechte in der Lieferkette verletzt werden. [17]
Beispiele für externe und interne Stakeholder sowie einen Vorschlag für eine Stakeholderanalyse finden Sie in der beigefügten Arbeitshilfe (Tabellenblatt 5b Stakeholderanalyse).[ 03101_a.xlsx]

4.8 Interne Dokumentation und externe Berichterstattung [18]

Alle mit der Erfüllung der Sorgfaltspflichten verbundenen Tätigkeiten müssen fortlaufend dokumentiert und mindestens sieben Jahre aufbewahrt werden. Einmal im Jahr ist ein gesonderter Bericht zu erstellen, mit dem nachvollzogen werden kann, wie und welche Risiken identifiziert und welche präventiven und mindernden Maßnahmen ergriffen wurden.
Aufbewahrungsfrist sieben Jahre
Der Bericht muss so beschaffen sein, dass sich interessierte Dritte und Behörden ein Bild machen und die getroffenen Maßnahmen und mögliche Handlungsalternativen nachvollzogen werden können. Aus der Einschätzung der Wirksamkeit der Maßnahmen sollten Rückschlüsse für zukünftige Maßnahmen abgeleitet werden. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bleiben gewahrt. Der Bericht muss spätestens vier Monate nach Ende des Geschäftsjahrs auf der Website des Unternehmens (kostenfrei) zugänglich sein und dort ebenfalls sieben Jahre vorgehalten werden.
In der beigefügten Arbeitshilfe im Anhang finden Sie eine Hilfestellung für die Erstellung des geforderten Berichts sowie für die Aufnahme von Menschenrechtsthemen in den internen Management-Reviews (Tabellenblätter 6a und 6b).[ 03101_a.xlsx]

5 Kritik am Gesetz

Aus verschiedenen Perspektiven wurden am Gesetzentwurf und auch an der Beschlussfassung Kritik geübt. Einige NGOs und zivilgesetzliche Akteure sprechen vom „Lieferkettengesetzschwindel” – Greenpeace hat dies öffentlichkeitswirksam in einer Aktion an die Fassade des Bundeskanzleramts projiziert. Die Kritik der Initiative Lieferkettengesetz und anderer NGOs bezieht sich auf folgende Aspekte: [19]
NGOs
Umweltaspekte (Artensterben, Entwaldung, Klimawandel usw.) sind nicht berücksichtigt,
indirekte bzw. mittelbare Tier-n-Lieferanten werden nur einbezogen, wenn Verdacht oder Kenntnis über Menschenrechtsverletzungen bestehen,
Ausweitung auf Unternehmen mit > 250 Mitarbeitern, Bilanzsumme > 20 Mio. EUR, > 40 Mio. EUR Umsatz p. a. erforderlich,
Klagemöglichkeiten für betroffene Personen aus dem Ausland, wenn durch Aktivitäten deutscher Unternehmen geschädigt (Wiedergutmachung, Schadensersatz).
Industrieverbände
Auch Industrieverbände übten und üben jede Menge Kritik [20], vor allem mit Bezug auf die zivilrechtliche Haftung und den erhöhten bürokratischen Aufwand. Während Letzterer kein gültiges Argument darstellen dürfte, da die Verpflichtung zum Einhalten von menschenrechtlichen Mindeststandards längst überfällig ist, stellt die zivilrechtlich einklagbare Haftungsübernahme für Dritte ein weitreichendes Problem dar. Es dürfte nicht ohne Weiteres zu begründen und in der Umsetzung auch schwierig sein, warum eine juristische Person (ein Unternehmen) Haftung für die Tätigkeiten anderer natürlicher oder juristischer Personen übernehmen sollte, zu der gar keine direkte (persönliche) Beziehung und letztlich auch keine Weisungsbefugnis besteht.
Zivilrechtliche Haftung nicht mehr vorgesehen
Daher ist die zivilrechtliche Haftung im Gesetz nicht (mehr) vorgesehen. Eine Möglichkeit für die Verantwortungswahrnehmung auch im Bereich Dritter könnte darin bestehen, die direkten Lieferanten zu verpflichten, die Sorgfaltspflichten ihren Lieferanten gegenüber nachweisbar wahrzunehmen (Code of Conduct, Compliance-Audits). Letztlich ist es den Lobbyverbänden und politischen Akteuren gelungen, die ursprünglich im Gesetz enthaltene zivilrechtliche Haftung zu vermeiden.
Verursachungsbeiträge und die Übertragung von Anforderungen
Eine weitere interessante Fragestellung bezieht sich auf die unterschiedlich ambitionierte Gesetzgebung im Vergleich zwischen bestimmten Produktionsländern und den höheren Rechtsnormen in Europa. Können die Rechtsanforderungen auf souveräne Herstellerländer übertragen werden, auch wenn es keine konkreten und völkerrechtlich bindenden Abkommen gibt? Außerdem ist es noch immer relativ unklar, was mit Verursachungsbeitrag genau gemeint ist und wie eng dies an die jeweiligen Vorfälle zu knüpfen ist. Es muss an dieser Stelle auch zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit, Leichtfertigkeit und vorsätzlichen Handlungen unterschieden werden.
Lieferanten aus Deutschland
Letztlich besteht noch immer Unklarheit darüber, wie mit Lieferanten in Deutschland umzugehen ist. Firmen aus Deutschland sind an deutsche Gesetze gebunden, die über die Mindeststandards der UN hinausgehen, und sie werden bereits behördlich überwacht. Inwieweit müssen dann deutsche Lieferanten auch bezüglich der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten überwacht werden? Angesichts der Sanktionsdrohungen und der möglichen Höhe der Zwangs- und Bußgelder (bis zu maximal 50.000 Euro bzw. max. 800.000 Euro und 2 % des Jahresumsatzes) wird seitens der Industrie eine Bagatellregelung etwa für Single Sourcing und Kleinmengenlieferungen eingefordert.

6 Fazit

Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) wird die Verantwortung deutscher Unternehmen für die Achtung von Menschenrechten in globalen Lieferketten geregelt. Damit zieht die Bundesregierung Bestrebungen aus anderen Ländern, z. B. UK mit dem Modern Slavery Act, nach.
Dieser Schritt zu einer gesetzlichen Regelung ist überfällig, denn es muss sichergestellt werden, dass die Herstellung von Produkten und das Anbieten von Dienstleistungen unter Einhaltung verbriefter Menschenrechte erfolgt und nicht auf Kosten anderer gehen darf. Mit dem Gesetz wird den legitimen Interessen von betroffenen Personen und Stakeholdern entsprochen. Außerdem schafft das Gesetz Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen und auch fairere Wettbewerbsbedingungen.
Supply Chain Transparency
Aus den einzuhaltenden Sorgfaltspflichten ergibt sich umfangreicher Handlungsbedarf nicht nur für deutsche Großunternehmen, sondern auch für KMU und Lieferanten. Die Umsetzung wird dazu beitragen können, dass die Supply-Chain Transparency erhöht wird. Bereits etablierte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Produktqualität und -sicherheit werden durch soziale Aspekte des nachhaltigkeitsorientierten Lieferkettenmanagements (Supply Chain Management) erweitert. Auch im Umweltmanagement (ISO 14001 Lebenswegbetrachtung), beim Klimamanagement (Kooperation mit Lieferanten zur Bilanzierung von Scope-3-Emissionen) und im Bereich Circular Economy (Material Passports) steigt die Bedeutung der Kooperation und des Datenaustauschs in Liefernetzen.
Abb. 4: Reifegradmodell zur Selbsteinschätzung
Reifegradmodell
An dem Thema der nachhaltigen Gestaltung der Lieferkette kommt künftig kein Unternehmen vorbei. Zur Einschätzung des aktuellen Stands in Ihrem Unternehmen kann das in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasste Reifegradmodell genutzt werden, das auf der Human Rights Capacity Diagnostic (HRCD) beruht, siehe auch Abbildung 4.
Tabelle 3: Reifegradmodell zur Selbsteinschätzung [21]
Inaktiv
Kein formelles Bekenntnis zu den Menschenrechten und keine Maßnahmen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt. Wenn Probleme öffentlich bekannt werden, reagiert das Unternehmen mit Ad-hoc-Maßnahmen.
Reaktiv
Es gibt eine formelle Grundsatzerklärung zu den Menschenrechten. In erster Linie wird versucht, Image- und Reputationsrisiken zu vermeiden.
Effizientes Management
Formelle Grundsatzerklärung zur Einhaltung von nationalen und internationalen Normen und (Rechts-)Vorschriften. Grundlegende interne Governance-Struktur und definierte Zuständigkeiten. Bewusstsein für die wesentlichen Menschenrechtsthemen und wie sie durch bestehende Managementprozesse angegangen werden.
Proaktives Experimentieren
Die Geschäftsführung ist an proaktiven Maßnahmen zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfalt interessiert und unterstützt diese. Im Unternehmen gibt es innovative Initiativen oder Projekte, um negative menschenrechtliche Auswirkungen oder Dilemmata frühzeitig zu erkennen und anzugehen.
Strategische Integration
Die Achtung der Menschenrechte ist fester Bestandteil der Unternehmenswerte sowie der strategischen Entscheidungsprozesse und wird von der Geschäftsführung aktiv vorangetrieben. Kontinuierliche Sorgfaltsprozesse sind fester Bestandteil der Managementpraxis, auch auf lokaler Ebene.
Führungsrolle
Innerhalb und außerhalb des Unternehmens wird eine Kultur gefördert, in der die Achtung der Menschenrechte gewährleistet ist – auch jenseits von direkten Geschäftsbeziehungen.

Quellen

1
Weiss, H., Werner-Lobo, K.: Schwarzbuch Markenfirmen: Die Welt im Griff der Konzerne, Ullstein Taschenbuch. Ullstein Taschenbuchverlag, 2016.
3
Richter et al.: Monitoring des Umsetzungsstandes der im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016–2020 beschriebenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen, Abschlussbericht. Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Climate Change & Sustainability Services, 2020
4
s. LkSG, § 2, Abs. 2
5
s. LkSG, § 1
6
s. LkSG, § 2, Abs. 5–8
8
Rodríguez, L. L.: Human Rights Due Diligence. In: Leal Filho, W.; Azul, A. M.; Brandli, L.; Lange Salvia, A.; Wall, T. (eds): Decent Work and Economic Growth. Encyclopedia of the UN Sustainable Development Goals. Springer, 2021
9
s. LkSG, § 3
10
§§ 4, 5 LieferkettenG-Reg und Begründung sowie §§ 4, 5 LkSG
11
Müller-Christ, G.: Nachhaltiges Management: Über den Umgang mit Ressourcenorientierung und widersprüchlichen Managementrationalitäten. Nomos Verlagsgesellschaft, 2020.
12
s. LkRG, § 3, Abs. 2
13
s. LkSG, § 4, Abs. 3
14
s. LkSG, § 6, Abs. 2
15
s. LkSG, § 7
16
s. LkSG, § 8
17
vgl. LkSG, § 11
18
s. LkSG § 10
19
Greenpeace: Bekommt es auf die Lieferkette (2021)
21
Aus Infoportal mr-sorgfalt.de Human Rights Capacitay Diagnostic (HRCD)
 

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